Martyrologium

Gendün Chöpel

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* 1903 in zho 'ong dpyi grong tsho (Rêbgong); † 1951[1]) war ein tibetischer Künstler, Gelehrter, Historiker und Autor. Der Umgang mit unbequemen Denkern – auch nach ihrem Tode – sagt viel über den Zustand einer Gesellschaft aus. Für viele Tibeter ist Gendün Chöpel noch heute ein wunder Punkt. Die einen reduzieren ihn auf einen frauenfixierten und in einer substanzlosen Antihaltung verweilenden Provokateur, die anderen idealisieren ihn so stark, dass sie meinen, er wäre der Einzige gewesen, der Tibet hätte retten können. In Lhasa sagte mir einmal ein junger Tibeter hinter vorgehaltener Hand: „Für viele von uns ist er ein Idol. Wir habe ihn in unseren Herzen bewahrt. Gendün Chöphel lernte Englisch, Sanskrit und Pali, befasste sich mit westlichen Philosophien und Gesellschaftsmodellen, knüpfte Kontakte zu Intellektuellen und Künstlern und tauchte als Laie in die „Welt der Sinne“ ein. Wenn er nicht bettelte hielt er sich mit Malerei über Wasser, außerdem fand er immer wieder Menschen, die ihn unterstützten. Das Angebot Rabindranath Tagores, an seiner Universität eine Professur für Tibetologie zu übernehmen, lehnte Gendün Chöphel entschieden ab, da er sich „kein schönes Leben machen, sondern alles für Tibet tun“ wolle.[5] In Anlehnung an das Kamasutra schrieb Gendün Chöphel während seiner Zeit in Indien „Die tibetische Kunst der Liebe“ (tib.: 'dod pa'i bstan bcos)[6]. Hopkins bezeichnet ihn aufgrund dieses Buches als den ersten tibetischen Feministen, da er im Buch die Wertschätzung und absolute Gleichstellung der Frau fordert. Die Diskrepanz zwischen seinem leidenschaftlichen Wunsch, etwas für sein Land und sein Volk zu tun, und den herrschenden Verhältnissen ist zu groß; er gibt auf – gibt sich selbst auf. Systematisch beginnt er zu trinken. Er möchte seinem Leben schnell ein Ende bereiten. Betreut wird er von Yudön, einer jungen Frau aus Chamdo, die er alsbald, auf ihren Wunsch hin, heiratet. Die tibetische Regierung stellt ihm eine Wohnung am Barkhor zur Verfügung und versorgt ihn auch mit Nahrungsmitteln. Sein Benehmen wird zunehmend exzentrischer. Für die einen ist er schlichtweg ein ,Verrückter’, für seine Freunde jedoch, die ihn als geistig vollkommen klar beschreiben, ist er ein ,Heiliger Narr’. Im September 1951 muss er – schon schwerkrank und extrem aufgedunsen – den Einmarsch der Chinesen in Lhasa mitansehen. Sein einziger zynischer Kommentar dazu: „Es ist vollbracht“. Drei Wochen später stirbt er im Alter von 49 Jahren mit dem Gefühl, nichts für Tibet und den Buddhismus erreicht zu haben. Portrait in weiß und Sepia auf gepresstem Ahornblatt, Foto: EVA